Wahnsinn Weinbewertung

| 28. Oktober 2011 Alles lesen

Sinn und Unsinn diverser Bewertungssysteme

Bewertungssysteme finden wir alltäglich, nicht nur für Weine. Und wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen auf das Gütesiegel der Stiftung Warentest vertrauen, wundert es mich nicht, dass auch bei Weinen nach verlässlichen Bewertungskriterien geschielt wird. Insbesondere dann, wenn die Weine im höheren oder höchsten Preissegment angesiedelt sind möchte man nun wirklich gerne Fehlkäufe vermeiden. Bei Weinen im mittleren bis niederen Preissegment erhofft sich so mancher Weinkäufer ein Schnäppchen. „Schau mal, mein Wein hat mehr Punkte als deiner und dennoch habe ich weniger bezahlt – ätschibätschi…“ (anders ist zum Beispiel der Erfolg des Buches ‘Super Schoppen Shopper’ meines Erachtens auch nicht zu erklären).

Es wäre vermessen wenn ich nun alle Punktesysteme und Bewertungskriterien auflisten wollte, dafür gibt es einfach zu viele. Stattdessen konzentriere ich mich auf Robert M. Parker, zumal mich Leo Quarda von weinquellen.at mehr oder minder explizit für seinen Gastbeitrag dazu aufforderte.

Sind 90 Parker-Punkte wirklich das Gelbe vom Ei?

Interessanterweise könnte ein 90 Parker-Punkte Wein genauso gut ein 40 Parker-Punkte sein. Die wenigsten wissen, dass die ersten 50 Punkte in Parkers 100 Punktesystem jeder Wein erhält, sozusagen als Vorschusslorbeeren dafür, dass es überhaupt ein Wein ist, siehe nebenstehendes Bild.

Ebenso gut hätte Parker also auch bei Null anfangen und bei 50 aufhören können. Allerdings spiegelt das 100 Punktesystem die international anerkannte Höchstnote von 100% am besten wider, so dass Parkers System weltweit verstanden und kopiert wurde. Um die Eingangsfrage korrekt zu beantworten, stelle ich Parkers Punkteschema mit meinen Worten kurz vor:

50-59 Punkte: Der Wein ist zwar ein Wein, aber vollkommen inakzeptabel;
60-69 Punkte: Mangelhaft, zumindest der Name auf dem Etikett wurde richtig geschrieben;
70-79 Punkte: Ausreichende Qualität, zeichnet sich durch nichts Besonderes aus;
80–89 Punkte: Knapp über dem Durchschnitt liegend, bis hin zu sehr guter Qualität mit Finesse, Aroma und Charakter;
90–95 Punkte: Herausragende Weine von außergewöhnlicher Komplexität;
96-100 Punkte: Außergewöhnliche Weine von allergrößter Komplexität und grandiosem Charakter. Diese Weine verkörpern alles was man von Spitzenweinen dieser Sorte erwartet.

So weit so gut. Aber wirklich hilfreich ist dieses Schema meines Erachtens nicht. Selbst Parker arbeitet innerhalb seiner Bewertungen mit Punktespannen (90-94) oder Plus- und Minuszeichen (89+). Je mehr Weine er verkostet, desto schwieriger wird die Abgrenzung zu den vorher getrunkenen Weinen. Und daher erscheint mir meine nachfolgende Interpretation seines Punkteschemas besser:

Huubs Sicht der Parker-Punkte

75-80 Punkte: Lass die Flasche besser im Laden stehen – und kaufe Dir ein leckeres Bier;
81-85 Punkte: Für Parker beginnt hier der über dem Durchschnitt liegende Trinkgenuss. Allerdings würde ich diese Weine nicht als wirklichen Genuss bezeichnen. Vielmehr lassen sich diese Weine zumindest ohne nennenswerte Fehleindrücke trinken. Und das ist mehr, als ich zum Beispiel bei vielen Supermarktweinen erwarten kann.
86-89 Punkte: Hier beginnt es so langsam aber sicher Spaß zu machen und der eine oder Wein kann ohne Weiteres mit viel Genuss und Trinkspaß geleert werden.
90 Punkte: Wenn ich mir die Inflation der 90 Parker-Punkte Weine (vornehmlich aus Spanien) so anschaue, weiß ich mit dieser Punktzahl nicht mehr so wirklich etwas anzufangen. Vor einigen Jahren fand ich seine 90 Punkte toll und kaufte derart prämierte Weine. Heute denke ich bei 90 Punkten hingegen an Bullshit. Die Bewertung kannst Du echt in der Pfeife rauchen. Entweder der Wein ist wirklich gut und sollte 91 oder mehr Punkte erhalten, oder er ist nicht so prickelnd und kann ebenso gut nur 89 Punkte haben. Auf gut Deutsch: Weine, die 90 Parker-Punkte haben, sind Deinem eigenen Geschmack überlassen. Entweder sie gefallen Dir oder nicht. Für mich ist diese Punktzahl jedenfalls zu einem reinen Marketinginstrument degradiert worden. PUNKT.

91-94 Punkte: Grundsätzlich kannst Du sicher sein, dass bei dieser Punktzahl einen tollen Wein in den Händen hältst. Ob der Wein jetzt 91 oder 94 Punkte aufweist spielt dabei keine allzu große Rolle. Dafür sind meines Erachtens die Unterschiede zu gering, und es liegt einzig und allein beim Tester wie viel Mut er bei der Punktevergabe hatte.
95-99 Punkte: Dazu muss ich nicht viel sagen, oder? Das ist die Crème de la Crème der Winzerkunst. Auch wenn Du nicht immer den gleichen Geschmack wie Parker oder andere Weinkritiker hast. Bei dieser Punktzahl gibt es kein Wenn und kein Aber – diese Weine sind einfach spitze.
100 Punkte: Wer möchte so vermessen sein und sagen, dass dieser Wein das Nonplusultra sei? Meines Erachtens sind 100 Punkte nicht mehr als die 90 Punkte; ein reines Marketinginstrument.

Wie viel ist gekauft und wie viel ehrlich vergeben?

Diese Frage zu beantworten ist ein Tanz auf der Rasierklinge. Behaupte ich nun alle Punkte seien gekauft, sehe ich schon einen Tsunami an Klagen auf mich zu schwimmen. Sage ich hingegen alle Punkte sind fair und ohne Einflussnahme vergeben worden, werfen mir andere sicher Feigheit vor.

Aber mal ganz ehrlich, ohne handfeste Beweise werde ich weder in die eine oder andere Richtung Stellung beziehen und lasse diese Frage offen. Nur eines möchte ich dazu noch anmerken – letztendlich entscheidet einzig und allein Dein Geschmack. Mit dem Glas in der Hand und dem jeweiligen Wein in dem Glas, kannst Du selbst entscheiden ob der Wein seine Punkte wert ist oder nicht. Übrigens, auch Parker selbst sagt, dass einzig und allein der jeweils eigene Geschmack entscheidet.

Bekannt ist hingegen, dass so mancher Winzer Weine produziert, die Parkers Geschmack entsprechen und somit hohe Bewertungen versprechen. Was auf der einen Seite zu besseren Weinen führen kann, auf der anderen Seite aber auch zu immer mehr Weinen führt die gleich schmecken. Und mit dieser letzten Aussage schlage ich den Bogen zur letzten Frage:

Sind Bewertungen ein Segen oder Fluch?

Ganz klare Antwort: Die Bewertungen sind ein Segen! Und ich sage zugleich, klar: Die Bewertungen sind ein Fluch! Häh? Widerspreche ich mich da?

Nein, beide Antworten sind richtig. Alle Bewertungen sind Fluch und Segen zugleich. Das war doch schon in der Schule so. Wenn wir eine Fünf mit nach Hause gebracht haben war es sicher eine Art Fluch und so manchen Fluch bekamen wir auch von unseren Eltern dafür. Dieser Fluch war für manche aber auch ein wahrer Segen, er war Ansporn besser zu werden.

Ähnlich sehe ich es bei den Weinbewertungen. Jede schlechte Bewertung kann für den Winzer bzw. Produzenten zu Einbußen im Verkauf führen, gleichzeitig weiß er aber, dass er seinen Wein verbessern muss. Während gute Bewertungen ein Lob für seine bisherigen Bemühungen sind und ihn hoffentlich ebenfalls dazu anspornen, dass er seine Qualität behält oder noch weiter verbessert.

Der Autor:

Huub Dykhuizen bezeichnet sich selbst als puren Weinamateur und nicht als Weinkenner oder Weinexperten. Seine vergnüglichen und fundierten Gedanken entstehen im wahrsten Sinne des Wortes Amateur: aus seiner Liebe zum Wein.

Mit mehr als zwanzig Jahren Erfahrung ist es ihm stets ein großes Anliegen das Thema Wein zu entmystifizieren und jedem die Freude am Wein mit einfachen Worten und ohne Pathos in seinen Weinbüchern und auf seinem Blog näher zu bringen.

Stichwörter: ,

Kategorie: WeinLounge

Kommentare (2)

Trackback URL | Kommentare RSS Feed

  1. Thomas sagt:

    Weinbewertungen – gekauft oder nicht gekauft.
    Am Ende ist es egal, wie der Wein von jemanden beurteilt wird. Jeder muss sich selbst ein Urteil vom Wein machen. Nur so kann man sagen, ob der Wein für einen selbst 95 oder 100 Punkte wert ist oder nicht.
    Darum bevorzuge ich den Weinkauf direkt beim Winzer – sofern möglich. Da kann man den Wein verkosten und selbst beurteilen. Und dann natürlich kaufen oder auch nicht.

    • Rene Harnisch sagt:

      Fluch und Segen, das ist richtig. Der Verbraucher benötigt Orientierung, welche er sich im Weinfachhandel, Internet oder eben durch Bewertungen bei RP & Co. holt. Und im Beratungsgespräch machen sie sich gut. Am Ende entscheidet der “Selbstversuch” ob nachgekauft wird ;-) .