Weisser Burgunder Kalmit 2010

| 23. Juni 2015 Alles lesen

Im April 2012 hatte ich den Weissburgunder Kalmit 2009 von Sven Leiner aus Ilbesheim in der Pfalz zur Verkostung. Heute habe ich den Folgejahrgang 2010 im Glas. Wie schon damals werde ich auch den Weisser Burgunder Kalmit 2010 über zwei Tage verkosten weil ich bereits weiss, wie sehr sich der Wein entwickelt und was für ein Feuerwerk er abzulassen in der Lage ist. Im grossen Holzfass spontanvergoren, ohne Vorklärung, schier endlos auf der Vollhefe belassen und am Ende ohne Eingriffe abgefüllt. Das sind die wesentlichen Schritte die den Wein zu dem werden haben lassen was ich hier am Tisch der Wahrheit stehen habe. Kalmit steht übrigens für die Lage, die, durchsetzt mit Kalk- und Muschelablagerungen, einige der besten Weinlagen der Südpfalz beherbergt. Was nicht unerheblich zu den Qualitäten beiträgt die Sven Leiner Jahr für Jahr in lange dunkle Flaschen zaubert. Und eine dieser dunklen Flaschen wird jetzt aufgemacht.

Weisser Burgunder Kalmit 2010 Konsequent dem Corporate Design folgend klebt auf der braunen Schlegelflasche ein in weiss gehaltenes Etikett mit dem Logo des Weinguts drauf. Die Rebsorte wie gewohnt in den Notenblatt-ähnlichen drei feinen Linien eingebracht und unterhalb der Name der gleichzeitig Herkunft ist: Kalmit. In gold auch hier wieder einer der wertvollen und unverzichtbaren ‘Mitarbeiter’ aus Sven Leiners Weinberg-Team, ein sehr bekannter Nützling aus der Familie der ‘Coccinellidae’, den meisten schlicht als Marienkäfer bekannt. Am rechten äusseren Rand steht quer geschrieben alles über die Lage, ihre Geschichte, ihre Beschaffenheit und ebenso alles über die Philosophie hinter Sven Leiners Weinen. Das Demeter-Siegel bezeugt die biodynamische Bewirtschaftung. War schon der Jahrgang 2009 für massive Luftzufuhr extrem dankbar, so kommt der Weisser Burgunder Kalmit 2010 ebenfalls für zwei Stunden in die Karaffe bevor er im Anschluss über die nächsten zwei Tage verkostet wird.

Erster Tag

11 Uhr: Gold mit klar erkennbarem grünen Schimmer steht im grossen Burgunderkelch. Im Duft leicht buttrig, grüne Wiese, nasser Stein und sehr verhalten warme Teigaromen. Grüne Nuss steppt durch die Gegend, von Frucht so gut wie keine Spur. Im Mund dann komplett anders. Kalkig, viel Brot, viel Teig, viel Nuss. Weich, fast schon schüchtern, so als wollte der WB Kalmit nur ganz leise auf sich aufmerksam machen. Was ist das schon wieder für ein Film! Mild fühlt es sich an, die Säure ist präsent, agiert aber so als hätte man sie vollkommen entschlackt. Man spürt den Kalk am Gaumen, auf der Zunge schmeckt man das Wochenangebot der lokalen Bäckerei. Über allem schwebt diese ausserirdisch wirkende grüne Nuss. Sie steht auf der Zunge, sie klebt am Gaumen und sie gibt auch im Abgang keine Ruhe. Sie gibt dem WB Kalmit jenen extraterrestrischen Kick, der ihn zum interstellarischen Raumgleiter macht. Weissburgunder vollkommen entrümpelt, von allem befreit was kein Mensch braucht. Soviel von “wenig”, das sich alles nach soviel “mehr” anfühlt. In ein paar Stunden geht es weiter.

16 Uhr: Zwar ist der WB Kalmit weiterhin ausgesprochen weich geblieben, er ölt fast schon am Gaumen ein, so hat sich die Würze noch mehr durchgegraben. Der Wein ist extrem dicht, aber nicht füllig was seinen Körper betrifft. Vielmehr gnadenlos konzentriert und kompakt auf der Zunge wie am Gaumen. Die grüne Nuss ist irgendwie reif geworden, strahlt jetzt förmlich zwischen den Teig- und Kalkaromen hervor. Wie überhaupt der WB Kalmit komplett vom Kalk dominiert ist. Es ist so viel im Mund und doch so wenig, so karg, so entschlackt. Die feine Säure im Hintergrund haucht dem Wein Puls ein und die enorme Mineralität sorgt für ein rassiges Mundgefühl. Dabei scheint es als würde sich alles in einer weichen, gut gepolsterten Hülle abspielen, nur um ja keinen Lärm zu machen. Der WB Kalmit steht nach sieben Stunden in der Karaffe frisch und fröhlich da als ginge ihm die Zeit am Hut vorbei.

20 Uhr: Knackig, höchst mineralisch, aufgelockert und mit einer enorm pulsierenden Säureader zieht der WB Kalmit nach elf Stunden in der Karaffe über die Zunge. Die Ränder rollen sich förmlich auf, die Augenbrauen ziehen sich hoch und man spürt wie es einem den Speichel aus dem Organ zieht. Rassig wie ein Windhund zischt der Wein durch den Kanal und zeigt sich am Gaumen von allem entblättert was vorher noch da war. Nach wie vor sehr dicht und packend, man spürt die niedrigen Erträge, spürt wie sich alles seinen Platz erkämpfen musste. Noch immer schmeckt man die typischen Brotaromen, den Teig, die Hefe, doch aus allem tropft permanent eine markante Säure raus die für mächtig Leben sorgt. Extreme, und doch gezügelte Würze steht im Mund und streicht den Gaumen ein. Der WB Kalmit hat in den elf Stunden derart zugelegt, dass er schon jetzt ein völlig anderer Wein ist als der, mit dem ich angefangen habe. Morgen geht es weiter.

Zweiter Tag

10 Uhr: In der Nase ist der WB Kalmit deutlich klarer, feiner und straffer geworden. Auf der Zunge plötzlich alles weg was an rund und weich vorhanden war. Nach 25 Stunden die der Wein offen in der Karaffe steht, plötzlich ein vollkommen entblätterter Wein im Mund. Glasklar, schlank, dabei keinen Millimeter an Dichte verloren, nur spürt man diese jetzt ganz anders. Extrem kalkig, pikant würzig, viel grüne Nuss und eine glasklare Säure haben sich zu einem gemeinsamen Stelldichein zusammengefunden. Es fühlt sich an als hätte der WB Kalmit über Nacht zehn Kilo abgenommen. Als hätte er sich neu erfunden. Die Bäckerei hat dicht gemacht, von Brot und Teig und Hefe nichts mehr da. Die Zeit der Zärtlichkeit verflogen. Jetzt dominiert die Mineralik, der Kalk, die Nuss hält noch dagegen, aber sonst ist nur mehr ein vollständig entrümpelter Wein im Mund, der sich am Gaumen in einer pikanten wie auch stoffigen Art und Weise auflöst. Was kommt da wohl am Nachmittag?

17 Uhr: Letzter Durchgang. Nach sieben weiteren Stunden ist der WB Kamlit wieder relativ weich geworden und plötzlich richtig knnusprig. Glasklar war am Vormittag, jetzt ist er griffig, körnig und ganz hinten hefig. Auf der Zunge leicht nussig, grün, am Gaumen saftig, kalkig und sogar leicht salzig. Wieder ein neuer Wein? Keineswegs. Nur wieder komplett verändert. Im Abgang saftig-würzig, etwas kräutrig, grün nussig, sauerteigig. Kompakt im Mundgefühl, dabei fein und geschliffen, keine Ecken, keine Kanten, einfach nackte Hülle. Mit einem Nachhall der an gesalzene Nuss erinnert. Insgesamt die erneute toale Wandlung und kein Ende absehbar. Geht locker über weitere zwei Tage. Doch die erlebt er nicht mehr, weil die Karaffe endgültig leer ist.

Zusammenfassung

Der WB Kalmit ist definitiv kein Wein den man sich einfach aufmacht und ihn in ein paar Stunden leer trinkt. Er will Zeit, er fordert sie geradezu und es ist jeder bestens beraten ihm diese zu geben. Dann zeigt er sich über Tage hinweg als Wein der sich ständig verändert, der zuerst weich und cremig den Mund ausfüllt und mit warmen Brot- und Teigaromen glänzt. Um sich immer mehr zu einem Wein hin zu entwickeln, der sich sukzessive immer mehr auf sich selbst reduziert und am Ende als nackter, vollkommen entrümpelter Rebensaft dazustehen. Ein Wein der ungeheuer mineralisch ist, eine enorme Würze aufweist und letztlich glasklar und leicht salzig im Mund steht. Karg ist wohl das Wort das ihn nach zwei Tagen die er offen in der Karaffe verbracht hat am besten beschreibt. Dicht in der Textur dank niedrigster Erträge, kompakt und packend. Ein Weissburgunder der nichts mit herkömmlichen Weissburgundern gemeinsam hat, der sich ständig wandelt, der fordert, der neckt, der einlullt und letztlich für ein unvergessliches Weinerlebnis sorgt.

Tipp: Unbedingt für 3-4 Stunden in die Karaffe vor dem Antrunk. Danach wenigstens über zwei Tage, noch besser drei, geniessen. 12-14º im grossen Glas sind fein, keinesfalls zu kühl trinken. Vergessen Sie die Küche, das ist Wein für die pure Abenteuerlust.

Verkostet wurde ein Weisser Burgunder Kalmit 2010 von Sven Leiner aus Ilbesheim in der Pfalz, Deutschland.

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